Kaum hatten wir die Höhen des Elbsandsteingebirges erklommen, drang plötzlich die Nachricht von Andrea Nahles‘ Rücktritt an unser Ohr: dem Smartphone sei Dank. Der Wettergott bescherte uns an diesem ersten Juniwochenende mit um die 30 ° C einen glänzenden Auftakt für ein erstes Treffen bei unseren Pirnaer Freunden, die Nachricht aus Berlin war in dieser Weise allerdings nur schwer vorauszusehen.
Im Zeichen gelebter Weltoffenheit und mit einer großen Portion Neugier versehen, erkundeten zwei unverwüstliche Münstereifeler im Namen des SPD-Ortsvereins, welche Themen unsere Pirnaer Genoss*innen im Schatten von AfD und Rechtsradikalismus bewegten. Nicht von ungefähr liegt Pirna etwa 20 km vor Dresden, wo sich bekanntlich Pegida als fremdenfeindliche Bewegung etablieren konnte. Natürlich und nicht zu selten erschrecken auch im Westen Taten von Rechtsradikalen, doch erfuhren die Vorfälle von Heidenau 2015 und Chemnitz, die zu massiven Verwüstungen und Straßenschlachten geführt hatten, eine massive Resonanz und verstörten viele Zeitgenossen, die solches in Deutschland nicht mehr für möglich gehalten hatten.
Gerade aber dies war der Anlass für Maren Behnert, 36, sich für die SPD zu entscheiden. Beinahe, könnte man meinen, um das Gegenteil zu beweisen, wonach der Osten die guten und fähigen Frauen beständig verlöre, bereichert sie seit diesen Vorfällen die SPD mit ihrem Engagement und ihrer Kreativität. Gebürtig aus Heidelberg, ehemals Projekte für Straßenkids in Südafrika leitend und dann doch aus Gründen der Liebe nach Pirna (zurück-)verschlagen, ist sie nunmehr Vorsitzende des Ortsvereins, nachdem sie fast zwischendurch einen Doktortitel erwarb, das Referendariat für Lehrkräfte antrat und mittlerweile dreifache Mutter ist. Doch auch wenn man von der Kita-Versorgung im Osten viel Gutes gehört hat, sind nun auch im Umfeld von Dresden die Erzieherinnen Mangelware: Dabei hatte sie bereits einen Kita-Platz inne, blieb aber dann bei ihren Kindern, weil eben die Erzieherin fehlte.
Pirna liegt malerisch gelegen an Elbe, ist mit viel Energie und Leidenschaft bereits durch viele Täler wie verschiedene Fluten in den vergangenen Jahrzehnten gegangen, hat aber doch immer wieder den Mut für den Neuaufbau aufgebracht. Man könnte fast meinen, dass die hiesigen Menschen unerschrockener sein müssten, wenn man zwischendurch die eigene Existenz davonschwimmen sieht und dann doch den Wiederaufbau leistet.
Der Blick über Pirna ist traumhaft, fallen doch die roten Dächer oberhalb der beigefarbenen Sandsteinhäuser im Ensemble mit viel Grün sofort ins Auge. Selbst in Pirna ist die Prägekraft des großen Barockherrschers August des Starken nicht zu übersehen, dem sächsischen Kurfürsten und polnischen König. So passt es nur zu gut ins Bild, dass das Schloss erhaben über Pirna thront und das Stadtbild von breiten Straßen und pompösen Bauten bestimmt ist, während die Elbe – mittlerweile wieder bedenkenlos sauber, ruhig und gelassen ihren Weg durch das Elbsandsteingebirge nach Dresden nimmt.
Ein besonders kundiger dieser Gegend, unser „Herbergsvater“ in den Tagen unseres Besuchs, Horst Schmittner, 79, verkörpert tatsächlich die Haltung, dass ihn so schnell nichts umwerfen könne. Seit einigen Jahren Witwer, drahtig, regelmäßig sportlich aktiv und geistig sowohl humorig wie auch im ernsten Fach stets auf der Höhe, führte er uns nicht nur im Elbsandsteingebirge herum, sondern gab uns auch den Fremdenführer in Pirna. Ganz besonders in seinem Fall zeigte sich, was die SPD mehr und vor allem brauchen kann: Menschen mit Überzeugung und Standpunkten, die auf Kenntnissen von der Sache beruhen und das Interesse verfolgen, sozialdemokratische Anliegen stark zu machen.
Der Kontakt nach Pirna war über Sven Hansen entstanden, dessen Interesse darin bestand, dass die Münstereifeler eine ostdeutsche Partnerstadt kennen lernen und damit im Jahr 2019 einen tieferen Einblick in die gesamtdeutschen Lebensverhältnisse bekommen sollten. Nach einer Zeit der Recherche kam dafür Prina infrage, weil es geografisch und mit Anbindung an eine Großstadt Ähnlichkeiten mit Münstereifel aufwies. Seit etwa einem Jahr entstanden so mit Horst Schmittner als damaligem Ortsvereins-Vorsitzenden zunächst über Telefon, dann auch Email Kontakte, die nun in ein Treffen mündeten. Eine Woche nach den Europa- und Kommunalwahlen in Sachsen ergaben sich rasch Themen, die von Emotionen begleitet waren. Horst Schmittner nimmt unverändert leidenschaftlich an den Diskussionen teil, zumal ihn gerade die GroKo umtreibt, weshalb schon mancher Brief seinen Weg nach Berlin fand; sie solle beendet werden, führe die SPD nur in tiefere Täler und überhaupt seien die knapp 34 Prozent die auf dem Parteitag, auf dem Andrea Nahles (sie wurde mit 66 Prozent gewählt) zur Vorsitzenden gewählt wurde, im Bundesvorstand nicht vertreten. „Man kann doch so nicht weiter machen und muss der Union einfach mal die Meinung sagen, auch mal auf den Tisch hauen.“
Der Westen mag es etwas ausblenden, aber im September stehen gleich drei Landtagswahlen im Osten an, die Kommunalwahlen waren wohl bloß ein Weckruf: Knapp lag erneut die AfD vor der CDU, wie zuletzt bei der Bundestagswahl – und es ist nicht ausgemacht, dass die AfD als stärkste Fraktion dann nicht auch den Ministerpräsidenten stellen könnte. „Vielleicht muss man sie entzaubern, indem sie Regierungsverantwortung übernimmt“, meint Horst, nicht gänzlich überzeugt, weil es auch ein Wagnis wäre. Aber es fällt eben auf, dass das Parteiensystem im Osten anders ist als im Westen. Es gibt mit den Linken und der AfD zwei Parteien, die mehr als im Westen hier an Stimmen gewinnen. „Wir haben einen guten Wahlkampf geführt, hatten Parität bei 22 Bewerbern und haben doch nicht hinzugewinnen können.“
Dabei war der Wahlkampf humorig verlaufen: Auf das „Wer nur Rechts und Links kennt, kommt keinen Schritt voran“ (Freie Wähler) wurde mit „Wer Rechts und Links kennt, kommt sicher über die Straße“ erwidert. Massive Stimmengewinne der AfD könne man nur mit Ablehnung der etablierten bzw. der gemäßigten Parteien und Protest erklären, meint Hort Schmittner. Dies klingt ernüchternd. Doch ist auch festzustellen, dass sich in diesem anderen politischen System neue Wege der Demokraten ergeben, neue Allianzen, die für Flexibilität stehen und weit aus weniger starr oder ideologisch ausfallen. Ein Beispiel ist, dass sich Grüne und die SPD zusammentun, um den Fraktionsstatus im Stadtrat zu bekommen. So lernt man sich besser kennen, überbrückt unnötige Hindernisse und steht für eine (wieder-) erkennbare Richtung; das ist Solidarität zu beiderlei Nutzen.
Für Sven Hansen und seine Frau waren es drei kurzweilige Tage in schönem Ambiente und bei bemerkenswerten Menschen, die sich unermüdlich für die SPD und die Zivilgesellschaft einbringen. Reisen und neue Erfahrungen sollen ja ungeahnte Kräfte wecken können, weshalb wir unsere Freunde auch bald schon zu einem Gegenbesuch einladen werden. Die alte Tante SPD zeigt aber vor allem, dass sie immer wieder unterschätzt wird und nicht kleinzukriegen ist. Es ist im Verlauf der Tage eine Freundschaft entstanden, die u.a. darauf gründet, dass wir wissen, welche Werte die SPD dem Zeitgeist abzutrotzen hat, und dass im besten Sinne, lebendige Ortsvereine das Rückgrat für eine aussichtsreiche Zukunft der Partei darstellen.
Sven Hansen